Myrtax - Der Turm der Altvorderen

2541 0 0

Myrtax bekommt von dem Dämonenkonstrukt die Turmruine und die magischen Abwehrmaßnahmen gezeigt

 

09. Morgrid 7347 Vierte Ära NL

Vormittag

Myrtax

 

 

 

"Beruhig dich.", murmelte eine sanfte Stimme neben ihm, eine starke Hand hielt ihn unten auf das nasse Gras gedrückt. "Oder sehnst du dich nach Schmerzen?"

Myrtax blinzelte, drehte den Kopf zur Seite und schaute Rihhura an. Die Schuppenfrau glitzerte an allen möglichen Stellen am Körper vor frischem Tau, als hätte sie im Regen gestanden und gewartet. Um ihre Lippen spielte ein Lächeln, als wolle sie sagen, dass es ihr nichts ausmachen würde, wenn er sich nach Schmerzen sehnen würde und sie ihm nicht half. Oder sie war neugierig darauf zu sehen, was mit ihm passierte.

"Was?", fragte er dümmlich, musterte ihre Hand auf seiner Schulter, die ebenfalls glitzerte. Wasserperlen rannen über ihre Schuppen, tropften ins Gras.

"Ob du dich wieder beruhigt hast." Sie nahm ihre Hand weg, überschlug die Beine neben ihm und musterte Myrtax wie ein Insekt, dass sie gleich sezieren würde. "Mein Herr hat schon mit mir geschimpft. Wegen dir sitzen wir hier fest."

"Wo ist hier?" Myrtax richtete sich auf, schaute sich um. Gewaltige Eichen ragten in die Höhe, ihr Blätterdach viele, viele Meter über ihnen. Dazu gesellten sich Rotbuchen, deren Stämme aussahen, als könnten sie im Alleingang einen Krieg gewinnen. Oder zumindest aushalten, bis die anrückenden Horden zu erschöpft waren, um weiterzumachen.

Ein weiterer Blick durch die dicken Stämme zeigte ihm, dass sie hoch oben über dem Land lagerten. Er konnte die schwarze Masse des Ebenholzdickichts in der Ferne sehen und die Ausbuchtung, die der Hauptbaum Leysirith darstellte.

"Wie... wie lange war ich weg?", fragte er nach einem Zögern und merkte gleichzeitig, dass sich sein Rücken sehr viel besser anfühlte. Die Haut zog und zwickte noch etwas, aber die fiebrigen Schmerzen waren nicht mehr gegeben. Auch fühlte er sich nicht mehr so benebelt. Mit einem kurzen Griff an seine Stirn merkte er auch, dass das Fieber verschwunden war.

"Ein paar Tage." Sie schien kurz zu rechnen, hob dann aber ihre Schultern, als wäre es ihr egal. "Ja, mehr als zehn Tage, danach hab ich aufgehört zu zählen."

"Zehn Tage... was hast du mit mir gemacht?"

"Was ich auch vorher getan habe." Sie erhob sich, Tropfen flogen von ihren Schuppen in alle Richtungen. "Mehr nicht. Vielleicht hat auch das Wetter dafür gesorgt, dass du dich erholst. Ihr Menschen seid seltsam."

"Warum?"

"Weil ihr es seid. Jeder andere wäre an diesen Wunden krepiert, du allerdings schläfst eine Weile und brauchst nur etwas Grünzeug auf der Haut."

"Ich bezweifle, dass das so einfach war." Er erhob sich und war erstaunt darüber, wie vergleichsweise gut es ihm ging. Das merkte auch sein Körper, denn ein tiefes Rumpeln kam aus seiner Körpermitte. Rhihura rollte mit den Augen und verschwand zwischen den dicken Stämmen der Bäume. Myrtax schaute ihr hinterher, hob ebenfalls eine Schulter und ging sich erleichtern. Dabei begutachtete er seine verschlissene Kleidung. Sie war zwar nicht kaputt, aber dreckig, stank und war seine einzige. Wenn sie hier in der Wildnis überleben wollten, brauchten sie bessere Ausrüstung.

Waren sie unterwegs nach Süden? Musste so sein, denn nach Norden gab es nur die Grünlandweiden mit dem Perlengebirge, wo die Abbaturi hausten. Also mussten sie auf dem Weg in die Sandsee sein.

Ein erneuter Blick nach Norden ließ ihn erst gewahr werden, wie weit sie wirklich vom Ebenholzdickicht entfernt waren. Zwischen den Lachlidan und ihrem Standort gab es noch die Zerklüfteten Ebenen von Sharaq, welche sich wie dunkle Schichten übereinander zu stapeln schienen, unterbrochen von tiefen Schluchten. Sie hatten die Ebenen zwar durchquert, aber er war sich der Ausmaße ihrer Flucht nicht bewusst geworden.

Ob die Lachlidan die Verfolgung aufgegeben hatten? Hatte sie überhaupt stattgefunden? Oder hatten sie zu viel Angst vor Rhihura, die ein paar ihrer Wächter problemlos in Stücke gerissen hatte?

Wie auch immer. Myrtax war fertig und schaute nach seinen wenigen Habseligkeiten; am meisten Sorgen bereitete ihm die Urne seiner Eltern, aber das nahezu schmucklose Gefäß war unbeschadet. Nicht einmal der Messingdeckel war locker.

Seufzend ließ sich Myrtax auf den Boden sinken, lehnte sich vorsichtig gegen einen Baumstamm und war erleichtert, als es ihm ohne großes Unwohlsein sogar gelang.

Sie hatten keine Lagerstätte. Keine Waffen - wenn man von den Krallen von Rhihura absah - oder viele Vorräte. Keine Kleidung, keine Zelte. Er hoffte, dass die Schuppenfrau einen Plan hatte und ihn nicht nur in den Donnerbergen aussetzte.

Überraschenderweise hatte Rhihura einen Plan. Sie hatte ein Reh erlegt, weidete es aus, briet das Fleisch und ermutigte Myrtax, die Stücke im Gehen zu verspeisen. Sie nahmen den Weg den Hügel hinauf, mehr in einer Schlangenlinie denn den direkten Weg, aber hinauf.

Am späten Nachmittag legten sie eine Rast ein, weil Myrtax es einfach nicht mehr weiter schaffte. Seine Beine gaben nach, Krämpfe schüttelten ihn und sein Rücken meldete sich wieder schmerzhaft.

Rhihura war genervt, weil sie eigentlich mehr Strecke schaffen wollte, aber sie befahl eine Rast über Nacht, damit man am nächsten Tag in der Helligkeit reisen und klettern konnte. Ein Ast im Bauch war ein sicheres Todesurteil.

 

 

 

10. Morgrid 7347 Vierte Ära NL

Vormittag

Myrtax

 

 

"Was... was sehe ich da?" Myrtax schaute auf das Gebilde vor ihm und wusste nicht so recht, was er damit anfangen sollte.

"Deine neue Heimat, kleiner Myrtax.", schmunzelte die Schuppenfrau, machte eine ausladende Bewegung mit der Hand.

Was Myrtax sah, war seltsam. Also, so seltsam eigentlich gar nicht, aber er konnte sich keinen Reim darauf machen. Vor ihm lag ein Turm. Nun, eigentlich mehr die Ruine eines Turms, der von irgendetwas Großem auf die Seite geworfen worden war. Moos, Schlingpflanzen und anderes Gewächs hatten sich über die dicken Quader ausgebreitet und der gesamte Turm war neben einem Hügel zum liegen gekommen. Wo der Turm früher gestanden hatte, war für ihn nicht auszumachen und eine Festung oder andere Gebäude gab es hier ebenfalls nicht.

Der Hügel selbst sah auch nicht natürlich aus. Eiserne Zähne lagen kreuz und quer um ihn herum, einige auf seiner Kuppe. Eine schiefe Tür mit Rahmen lag auf der Seite, direkt im Schatten der Turmruine.

"Der Turm?", fragte er skeptisch, die Frau aber lachte nur und drückte ihn unsanft an dem Turm vorbei zu der Tür.

"Mach sie auf.", forderte sie. Der ehemalige Sklave beäugte die Tür, beugte sich nach vorne und zuckte dann zurück.

"Nein."

"Nein?" Rhihura legte den Kopf schief, als wüsste sie mit seiner Weigerung nichts anzufangen oder fragte um Rat. "Was meinst du damit?"

"Ich möchte vorher, dass du mich von meinem Halsband befreist." Dabei zeigte er auf das Sklavenhalsband aus Zedernholz, welches ihm Jilal zur Strafe anlegen ließ.

"Ach so..." Rhihura seufzte getragen, langte nach dem Halsband, drückte zu und das Holz barst wie von einem schweren Schlag getroffen. Leise klimpernd fielen die Holzspäne und die großen Überreste des Halzbands in das sich wiegende Gras. Myrtax spuckte noch einmal drauf, bevor er dann die Tür öffnete, hinter der sich keine trockene Erde oder plattes Gras befand, sondern ein Durchschlupf, etwas größer als Myrtax und steil nach unten in die Erde wandernd.

Zögernd schaute er Rhihura an, die nur mit den Augen rollte und ihren rechten Arm glühen ließ. "Geh schon. Da unten frisst dich nichts. Nur ich, wenn du dich nicht beeilst."

"Ja, schon gut. Ich dachte, du willst mir helfen."

"Mach ich doch gerade. Nun husch, ab nach unten."

Myrtax seufzte getragen, ließ die Tür ins Gras fallen und spürte einen kalten Hauch, der nicht vom Wind herrührte. Das sanfte Glühen hinter ihm beleuchtete einen behauenen Gang aus Erde, in dem grobe Stufen aus Stein eingelassen waren, die nach unten führten.

Seltsamerweise hatte er keine Angst, nur ein Unwohlsein machte sich in ihm breit. Die ganze Situation erinnerte ihn an die Tunnel unterhalb von Leysirith und an die blutigen Dinge danach. Nicht, dass er sie bereute. Die Vampire hatten bekommen, was sie verdienten und seiner Meinung nach sogar noch viel zu wenig.

Was Myrtax wohl verdient hatte, weil er Jilal und Marseille geholfen hatte? Zwanzig Peitschenschläge und noch mehr? Fieber, einen nahezu sicheren Tod? Nein, bloß nicht. Wenn er könnte, würde er alles tun, um dem Tod zu entkommen. Und wenn er hunderte, tausende Vampire eigenhändig häuten müsste!

Als der Gang nach unten endlich endete, staunte Myrtax nicht schlecht. Was er sah, war fremd und schön zugleich. Einsam zu nennen.

Der Gang endete in einer Höhle, einige Meter tief unter der Erde. Die Höhle selbst war riesig, so hoch, dass Myrtax die Decke nicht sehen konnte. Ein Durchbruch ihnen gegenüber spendete Licht und dort wuchsen auch Pflanzen, Bäume. Ein kleiner See glitzerte in der Ferne. Saftiges Gras wuchs hier unten, es war erstaunlich warm dafür, dass sie unter der Erde waren.

Als er den Kopf hob, bemerkte er glitzernde Runen in der Decke. Aus seiner Sicht sehr klein, aber wenn man bedachte, wie hoch oben die Decke doch war, so mussten sie riesig sein. Lesen konnte er sie nicht, aber sie waren in der Sprache der Altvorderen geschrieben, so schien es. Vermutlich waren sie für das milde Klima verantwortlich.

Vögel zwitscherten und an den Bäumen flirrte es vor Insekten. Was Myrtax aber mehr erstaunte, war der riesige, runde Turm in der Mitte der Höhle. Er war so hoch, dass er fast an die Decke stieß. Dunkle Schatten, vermutlich Fenster, verbargen sich in dem dunklen Stein aus dem er gehauen worden war.

Am Fuße des Turms waren Mauern angebracht, die in einem seltsamen Muster Felder und kleinere Häuser einrahmte. Viele der Häuser waren verfallen, die Mauern eingestürzt, das Dach durchgebrochen. Die Felder waren bestückt mit Getreide und anderen Pflanzen, die Myrtax nicht identifizieren konnte.

"Das... ist..." Er blinzelte und wandte sich an Rhihura. "Was genau ist das hier?"

"Ein Versteck der Altvorderen. Vor ihrem Zusammenbruch, ihrer Ausrottung. Bis auf die Tiere lebt hier nichts mehr."

"Und warum hast du mich hergeführt?"

"Sagte ich das nicht?" Sie schmunzelte, stupste ihn an der Schulter an, damit er Pflastersteinweg nahm, der von Pflanzen überwuchert worden war. "Ich bringe dir Magie bei."

Please Login in order to comment!