06. Cervore 7345 Vierte Ära NL
Nachmittag
Myrtax
Myrtax stieg aus der Kuhle im Boden, die sein Badezuber war und trocknete sich ab. Er war müde, hatte Augenringe vom Schlafentzug, war frustriert aufgrund der wenig fruchtbaren Büffelei in den Büchern der Altvorderen, dazu ermüdete ihn zusätzlich die Arbeit bei seinem Herrn Jilal und die immer anstrengendere Pflege der schwangeren Sklavin Huria. Ihr Bauch wurde immer runder, sodass sie ihn nun wie eine große Kugel vor sich herschob. Ihre eigentlich wunderschönen Beine bekamen leichte Krampfadern und sie hatte Probleme mit der Atmung.
Jedes Mal, wenn er sie berührte, um sie zu pflegen, bekam er Angst, ihr fest gespannter Bauch würde aufplatzen und das Ei würde aus ihr herausrollen. Mittlerweile begann sie auch Milch zu produzieren, was Jilal freute, Myrtax die Aufgabe allerdings zusätzlich erschwerte. Sie war empfindlich geworden und schien sich zu schämen, wenn sich einige Tropfen lösten.
Myrtax fuhr sich mit einem Trockentuch durch die Haare, schloss für einen Moment die brennenden Augen, bis sie sich etwas beruhigt hatten. Er tropfte derweil den Boden voll.
Irgendwie hatte er sich die Aufgabe für einen Vampir anders vorgestellt. Mehr Bringdienste als Aufräumdienste. Sicher, er war darauf vorbereitet gewesen, die Wäsche des Herrn zu waschen, sein Essen zu holen und ihm jeden Wunsch von den Lippen abzulesen, aber dass er auch noch zusätzlich sich um seine Brutsklavin - denn mehr war Huria im Moment nicht - kümmern sollte, behagte ihm gar nicht. Außerdem waren da noch die Berichte zweimal in der Woche Richtung Rovinna und Simar.
Es hatte etwas Gutes für sich. Die beiden Adligen sahen ihn ihm einen guten Sklaven und sprachen ihn mittlerweile auch nicht mehr allzu hart an. Nur den Beinamen "Sklave" hatten sie ihm noch nicht genommen. Dafür bekam er etwas besseres Esssen und alle vier Monate ein frisches Paar Schuhe, da er mehr Kilometer machte als er herumstand und auf die Wünsche und Bedürfnisse des Herrn Jilal oder seiner beiden Frauen einging.
In eines dieser frischen Paare - er hatte mittlerweile drei davon - schlüpfte er nun hinein, nachdem er sich abgetrocknet und angekleidet hatte. Heute trug er die nicht ganz so teure Garnitur, da er Besorgungen in den Behausungen der anderen Feldsklaven zu tun hatte, besonders bei den Blutweinsklaven.
Wie immer in den letzten Tagen war Myrtax über die schmeichelnden Schuhe an seinen Füßen überrascht. Es zwickte nichts, er hatte nicht das Gefühl, dass es ihm die Haut aufscheuerte und manchmal war er sich nicht sicher, ob er auf Leder oder Wolken lief.
Bevor er das Zimmer verließ, nahm er die schmale Pergamentrolle mit, welche Marseille ihm beinahe aggressiv an die Brust gedrückt hatte. Darin waren die sechs Blutlinien notiert, die sich die Herrin Rovinna zu ihrem einhundertjährigen Jahrestag mit ihrem Gemahl Simar ausgesucht hatte. Zehntausend Jahre verheiratet. Allein bei der Zahl wurde Myrtax schwindelig. Er wusste, dass Vampire über siebzigtausend Jahre alt werden konnten, aber dies waren Zahlen weit jenseits seiner Vorstellungskraft. Er würde sich schon freuen, wenn er die fünfzig Jahre erreichen würde.
Neugierig rollte Myrtax die schmale Rolle aus, schaute hinein. Darauf waren sechs Namen abgebildet, die dem Sklaven allerdings alle nichts sagten.
Golbach
Hermon
Zurlaria
Julanda
Persiarj
Queng
Myrtax vermutete hier die Blutlinien, jedenfalls würde es am meisten Sinn ergeben. Er nahm sich noch einen Kohlestift mit, damit er die Namen aussuchen konnte. Seine Anweisung war klar: drei der besten Blutweine heraussuchen für den Jahrestag.
Warum ausgerechnet er den Wein aussuchen sollte, war ihm nicht ganz klar. Soweit er es mitbekommen hatte, kam die Aufgabe von Rovinna zu Marseille. Diese hatte darauf keine Lust, was für Myrtax ein grober Verstoß gegen ihre Rolle als Bedienstete war. Und obwohl sie über ihm stand, hätte er beinahe protestiert. Sie hätte ihn wenigstens begleiten können.
Der Sklave schmunzelte, als er die Tür öffnete und sein Zimmer verließ. Begleiten, pah. Die Vampirin wäre im Sonnenlicht zu Asche verbrannt. Das hätte er gerne gesehen, wie sie sich vor Schmerzen winden würde, verzehrt vom heißen Feuer der Sonne. Das hätte er liebend gerne gesehen, wie ihre wunderschöne Haut aufplatzen, ihr Haar in Flammen aufgehen und ihre Augen bersten würden, ihr das hämische Grinsen aus dem Gesicht brennen würde.
Immer wieder ertappte sich Myrtax dabei, wie er darüber fantasierte, wie er die Zauber der Altvorderen an Marseille, Jilal und den beiden Clan-Anführern ausprobierte. Besonders Jilal, der ihn immer wieder wütend machte, besonders, wie er Huria behandelte. Die Frau verlor rasch an Schönheit, was den Vampir von ihr wegtrieb. Trotzdem tat er in der Nacht Dinge mit ihr, was Myrtax dann wieder verwunderte.
Er hatte einen Zauber gefunden, der einen Körper sich selbst verspeisen ließ über Zeit. Diesen wollte er bei Jilal einsetzen, aber bisher hatte Myrtax noch nicht herausgefunden, ob er überhaupt Magie wirken konnte. Ein Grundlagenbuch hatte er zwar gefunden, aber dies waren vor allem Erklärungen zum Aufbau von Zaubern, Ritualen und dem Wesen der druidischen Magie der Vampire, aber nichts darüber, wie man herausfinden konnte, ob ein Lebewesen Magie besaß und diese anwenden konnte. Die nächtlichen Versuche waren auch nicht fruchtbar gewesen bis auf die Tatsache, dass er gefühlt weniger sehen konnte und dass ihm die Augen brannten.
Bedächtig verließ Myrtax den großen Baum, wich den geschäftigen Sklaven und einigen Bediensteten aus, die sich um die notwendigen Arbeiten kümmerten, die sonst in der Nacht im Dienste der Vampire untergingen oder liegenblieben. Zum einen gehörte da die Wäsche zu, zum anderen das Putzen und das Aufräumen des Baums und der anderen Zimmer, die sonst nur in der Nacht benutzt wurden. Der junge Sklave hatte diesen Luxus nicht, er musste sein Zimmer selbst säubern, was für ihn kaum Aufwand bedeutete bis auf einige wenige Stück Wäsche und das Wasser in seinem im Boden versenkten Zuber.
Die Hitze des Nachmittags traf ihn wie einen Hammerschlag. Im Baum war es auch warm gewesen, aber nicht so sehr. Die Beete sahen reichlich trocken aus, auch wenn sie vom Blätterdach der großen Baumkronen von der vollen Stärke der Sonne verschont blieben. Die Gärtner hatten alle Hände voll zu tun, um die Erde und die Pflanzen feucht zu halten. In der Ferne konnte Myrtax die gedeihenden Felder sehen. Grünes Gemüse, gelber Weizen und hoch aufragende Stauden wechselten sich ab, flimmernde Hitzeschwaden wanderten über die Felder und machten die Sicht weitaus weniger klar.
Er fragte sich, wie heiß es wohl in den Sklavenbehausungen war und musste gar nicht lange auf die Antwort warten. Die Blutweinkelterei befand sich fast am Ende der langen Reihe an Unterkünften und recht nahe der Waschkammern, um die Hinterlassenschaften der Blutweinsklaven wegzuwaschen. Pumpen förderten Wasser, um bei Bedarf auszuhelfen.
Myrtax sah Jaloquin auf die Felder gehen, eine Feldhacke an die Schulter gelehnt. Der ältere und größere Sklave sah ihn, blieb kurz stehen und dem jüngeren Sklaven wurde kalt. Der Blick, der ihm zugeworfen wurde, war eisig und voller Mordlust, gepaart mit Wut und Unzufriedenheit. Myrtax schluckte den Kloß im Hals hinunter und lenkte seine Schritte zu dem wie gewachsen wirkenden, zweistöckigen Haus. Oben wurden wohl Vorräte gelagert, zumindest der Lastenaufzug deutete darauf hin.
Die schmale Tür war verschlossen, die Fenster unter dem Dach allerdings offen, um wohl überhaupt für Luftbewegung zu sorgen. Innen war aber Bewegung zu hören, irgendwer schleifte etwas Schweres über den Boden.
"Hallo?" Myrtax klopfte beinahe zögerlich an die Holztür, das Scharren hörte auf, jemand gab ein Ächzen von sich, dann wurde die Tür einen Spalt geöffnet, Augen in der Farbe von Orangen spähten durch den Türschlitz, der im Schatten lag.
"Ja?", kam die Frage und Myrtax begriff, dass er es mit einem Vampir zu tun hatte, der am Tage arbeitete.
"Myrtax der Name, ich..."
Die Tür wurde geöffnet, der Vampir verzog sich in den Schatten. "Komm herein, du wurdest uns angekündigt."
"Wie das?" Myrtax trat in das Haus und ihm war gleich wohler, hier war es nicht so drückend heiß wie draußen auf dem Platz, Bäume und Pflanzen hin oder her. Nun merkte er aber, wie ihm das Hemd am Körper klebte und ihm der Schweiß den Rücken hinunterrann.
"Wie wohl?", zischte der schmale Vampir, sein Gesicht verzerrt vor Anstrengung, eventuellem Blutdurst und Abneigung gegen Myrtax, das war offensichtlich.
"Bote?"
"Brieftaube und Rauchzeichen.", grummelte der Mann. "Warte, ich hole den Vorsteher, er macht die Abwicklung."
"Ist gut, ich warte hier."
"Ich habe auch nichts anderes gesagt, oder?"
Myrtax rollte mit den Augen. Immer diese Vampire, die sich für etwas besseres hielten. Er hätte zu gerne den Blutrang des Mannes gesehen, aber es hätte ihm nichts gebracht. Selbst ein Fondané im ersten Rang stand über ihm.
Myrtax schaute sich im Raum um. Der Vampir hatte einen Sack gezogen, der doppelt so groß war wie Myrtax und sehr schwer ausschaute. Was sich darin befand, konnte er nicht sagen, die vampirischen Runen für den Inhalt lagen auf der anderen Seite.
Es gab einen Ausgang nach links an dem Lastenaufzug vorbei und eine größere Tür nach rechts, ein Gang bog vor der Tür ab, worin auch der Vampir verschwunden war. Bis auf einige wenige Regale mit Lampen, Säcken und Ersatzteilen wie es schien, war der Raum auch leer. Eine Theke direkt vor Kopf war verlassen, die Glocke von Patina und Staub bedeckt. Vermutlich war sie lange nicht mehr benutzt worden. Gab es hier keinen Publikumsverkehr, wurde hier seltener Blutwein angefordert oder wurden die Gesandten wie Myrtax direkt empfangen?
Nach kaum zwei Minuten stapfte ein untersetzter Mann in den Raum, schütteres Haar bedeckte den Kopf und er schwitzte ein wenig, jedenfalls glänzte seine Stirn.
"Du bist Myrtax?", fragte er mit etwas höherer Stimme als es der kleine Körper vermuten ließ.
"Ja, das bin ich. Ich komme im Auftrag der Herrin Rovinna und soll diese sechs Blutlinien begutachten und drei aussuchen." Myrtax hielt dem Mann die kleine Schriftrolle hin, die er mit speckigen Fingern ausrollte und las. Die Augen verengten sich und es sah aus, als hätte er nun Schweinsaugen.
"Gleich sechs davon und auch noch die Guten.", grummelte er, reichte Myrtax das Stück Pergament zurück. Der Sklave hatte Schweißflecken erwartet, aber da waren keine auf dem Schriftstück. "Wieso die wertvollen Blutlinien?"
"Die Herrin und der Herr sind nun zehntausend Jahre verheiratet und wollen ihren einhundersten Jahrestag feiern.", lächelte Myrtax auf die Frage hin. Die Augen des Mannes wurden rasch größer und seine Haut verlor rasch an Farbe.
"Sehr wohl. Folge mir, wir suchen dir die Blutlinien. Ich bin Voshar."
"Myrtax.", antwortete der junge Sklave und folgte Voshar nach rechts durch die Tür. Direkt linkerhand öffnete sich eine Kammer, in der mehrere schmale Schränke und Bänke standen. Ein nackter Sklave glotzte Myrtax an, als hätten sie ihn beim Umkleiden gestört. Direkt dahinter sah Myrtax Arbeitstische aus Metall, hörte Töpfe klappern und einen Mann rufen. Das war dann wohl die Küche, was sich nach einigen Metern als wahr herausstellte, denn aus einer Doppeltür ruckelten zwei große Servierwagen heraus mit dampfenden Tellern, auf denen Gemüse und Fleisch lagen. Ein Blick nach links offenbarte einen Ofen und eine große Arbeitsfläche, wo ein Koch in weißer Kleidung und mit einer dunkelbraunen Schürze einen Fisch ausnahm. Dampf stieg von einem großen Kupferkessel auf.
Die beiden Servierwagen durchquerten eine weitere Doppeltür, die elegant und leicht quietschend aufschwang. Voshar und Myrtax folgten in einen lichtdurchfluteten runden Raum. Die Decke war mehrere Meter über ihnen und kegelförmig, die Spitze direkt über der Mitte des steinernen Rondells. Eine breite Fensterfront beherrschte die rechte Seite, die nach Süden ausgerichtet war. Sonnenstrahlen drangen hindurch und beleuchteten die zwanzig Menschen, die auf einer hölzernen Unterlage saßen.
"Willkommen.", brummte Voshar, breitete die Arme aus, als würde dies sein Haus sein. "Zwanzig unserer besten Blutlinien. Sechs davon stehen dir zur Auswahl. Bei Fragen frage uns."
"Werde ich." Myrtax fand sich gerade irgendwie sehr stark, dass er wählen durfte und von Voshar so behandelt wurde, als wäre er die Herrin selbst. Oder der Herr. Im Grunde sprach er für sie, machte es ihn also besser als den gewöhnlichen Haussklaven?
"Darf ich sie mir ansehen?"
"Wenn du den Pflegern nicht in die Quere kommst."
Vorbei das Hochgefühl von Macht, wieder auf dem Boden der Tatsachen. Myrtax zuckte nonchalant mit den Schultern und ging zu dem ersten Mann, der direkt links von ihm saß. Die Pfleger waren noch nicht mit dem Essen soweit, also hatte er noch etwas Zeit.
Der Mann war nackt wie alle anderen Menschen, die als Blutweinsklaven dienten. Seine Augen waren trüb, nichtssagend, wässrig. Sein Gesicht war dick und generell war er auch sehr speckig. Ein schaler Geruch nach Fäkalien drang von unter ihm her. Die Beine und Füße wurden von eisernen Fesseln mit einem Schutz aus Leder und Wolle an Ort und Stelle gehalten, die Arme wurden von ebensolchen Fesseln oben gehalten. Die Befestigungen verschwanden irgendwo oben an der Decke.
Ein Schild war zwischen seinen Beinen angebracht und benannte seine Blutlinie "Olthar" und das Alter. Er war sechsunddreißig Jahre alt.
Direkt neben ihm saß ein Junge, ebenso weggetreten und bewegungsunfähig wie der ältere Mann. Das Schild wies ihn als zwölf Jahre alt aus, er hatte auch noch nicht das Mannesalter erreicht, denn bis auf den Kopf wuchs an ihm kein Haar.
Die kleine, untersetzte Frau ließ sogar den Kopf auf die Brust hängen, Schweiß glänzte auf ihrem Bauch und ihren Brüsten, an ihren Beinen liefen Tropfen hinab und färbten das Holz dunkler. Sie war aus der Blutlinie der Golbach und mit vierundzwanzig Jahren betitelt.
Neben ihr hing ein sechsjähriges Mädchen aus der Blutlinie der Hermon in den Ketten, ihr Blick abwesend, das Gesicht leer. Ihr Haar war strohig und kurzgeschnitten und Myrtax fühlte sich sofort sehr merkwürdig. Dies hätte mit ein wenig Pech er sein können.
Die nächste Blutlinie sagte ihm nichts, der Mann war etwas dünner als sein Vorgänger und sabberte ein wenig. Tiefer im Raum ließ irgendwer einen donnernden Wind fahren.
"Puh.", machte einer der Helfer, als sie die Mahlzeiten in Schüssel verteilt hatten. Voshar winkte Myrtax heran, der den Helfern eilig aus dem Weg ging. Die Blutweinsklaven öffneten gehorsam die Münder, wenn ihnen der Löffel hingehalten wurde.
"Wie macht ihr das?", fragte Myrtax leise.
"Wir betäuben sie mit dem Essen." Voshar lächelte schmal. "So bleiben sie gefügig und bekommen nicht mit, was wir ihnen antun. Auch nicht, wenn sie Kinder bekommen, da erhöhen wir die Dosis."
"Werden sie davon nicht abhängig oder entwickeln eine Immunität?"
"Manche tun das." Voshar zuckte mit den Schultern. "Sie bekommen dann eine Maulsperre, damit sie nicht beißen und werden mit Brei gefüttert. Uns ist es egal, die Herren wollen es so."
"Ja, die Herren wollen es so." Myrtax schaute sich weiter um, schaute den Helfern bei der Arbeit zu. Einer der Sklaven verrichtete dabei sein großes Geschäft, aber niemanden interessierte es.
"Warum eigentlich so viel Licht?" Myrtax war an einer der letzten Frauen hängengeblieben, deren Körper von Schweißtropfen übersät war. Für ihn nicht weiter erwähnenswert, aber andere Männer würden sich die Finger nach der erstaunlich hübschen Sklavin lecken. Nicht so hübsch wie Huria, aber sehr ansehnlich.
"Der Körper produziert einen Stoff, den unsere vampirischen Herren nicht bekommen, da sie in der Sonne verbrennen. Menschen produzieren ihn und übertragen ihn ins Blut, eben auch in den Wein. Daher setzen wir sie dem Sonnenlicht aus. Bei einem Sonnenbrand werden sie behandelt."
"Ich verstehe, denke ich." Myrtax schaute den Helfern zu. Münder wurden mit Essen gefüllt, abgeputzt, dann bekamen sie Wasser und Saft eingefüllt. Einer der Helfer holte vier Eimer mit Wasser und Seife, womit dann die Blutweinsklaven gewaschen wurden. Niemand störte sich daran und die Sklaven schienen es auch nicht mitzubekommen, wie Voshar gesagt hatte.
"Sie haben alle ein anderes Futter bekommen.", fiel Myrtax auf, als die beiden Servierwagen wieder nach draußen geschoben wurden.
"Du hast es gesehen." Voshar nickte. "Wir füttern bestimmte Blutlinien mit bestimmten Zutaten. Unsere kleine Hermon hier bekommt nur Waldbeeren zu essen, davon dann täglich mindestens ein bis zwei Kilogramm."
Myrtax nickte. Er sah, wie der eigentlich flache Bauch des kleinen Mädchens geschwollen war von der Nahrung.
"Deine Golbach bekommt vor allem Nüsse beziehungsweise Eicheln, sodass sowohl ihr Blut als auch ihr Fleisch einen köstlichen Nuss-Geschmack annehmen." Der Mann schnalzte genießerisch mit der Zunge.
"Wie Wild."
"Genau, wie Wild."
Myrtax nickte und ging an den Sklaven entlang, begutachtete ihre Körper und die Schilder zwischen ihren Beinen. Von dem Geruch ließ er sich nicht irritieren, auch, wenn er manchmal würgen musste.
Zurlaria war ein Mann von etwa dreißig Jahren, der nur mit rotem Fleisch gefüttert wurde. Julanda war ein Junge von etwa sechzehn Jahren, dem man nur Salat als Futter angedeihen ließ.
Persiarj war eine wirklich sehr hübsche Frau, die Huria in nichts nachstand und gerade einmal zwanzig Jahre alt war. Ihr wurde vor allem Hühnchen und Eier gefüttert. Ob sie dann auch nach Huhn schmecken würde?
Queng war ein Mann von fünfzig Jahren, seine Haut bereits faltig und ihm wurde Hirsebrei gegeben. Voshar erklärte es damit, dass es den etwas zähen Geschmack des Fleisches kompensieren würde und den Wein süffig und rund. Myrtax hatte da seine Zweifel, aber was wusste er schon?
"Also Myrtax, was darf es sein?", fragte Voshar, rieb sich die feisten Hände.
"Machen wir ein breites Feld auf. Ich würde sagen, wir nehmen Hermon, Queng und Golbach." Myrtax nahm den Kohlestift zur Hand. "Damit hätten wir jung und frisch, dazu einen beerigen, fruchtigen Geschmack.
Golbach war nussig, damit komplimentiert man auch sicherlich gewissen Speisen." Myrtax umrandete den Namen mit dem Kohlestift, zog eine schwarze Schliere, als er die Kohle versehentlich mit dem Finger verwischte.
"Und Queng ist rund, süffig, nicht zu aufdringlich.", notierte er sich murmelnd, schaute dann Voshar an. "Oder spricht etwas dagegen?"
"Nein. Da du es bist, den sie geschickt haben, kannst du das Blut schlecht probieren, nicht wahr?"
"Richtig." Myrtax war auch nicht sonderlich erpicht darauf, menschliches Blut zu trinken. Abgesehen davon, dass er eh nur Eisen schmecken würde, da ihm die Geschmacksnerven eines Vampirs dafür fehlten.
"Wann soll denn diese Feier stattfinden? Ich müsste das Blut dann abfüllen lassen. Wie viele Flaschen werden denn gebraucht?"
"Müsste ich abklären, dazu steht hier nichts.", entschuldigte Myrtax sich. "Bis wann braucht Ihr die Antwort?"
"In vier Tagen, sonst komme ich mit der Produktion nicht hinterher und die Menschen müssen sowieso das Blut nachproduzieren."
"Ich verstehe. Ich werde morgen mit der Antwort wiederkommen." Myrtax schaute sich um und war wieder einmal froh, jetzt in den Diensten seines Herrn Jilal zu stehen.
Beinahe erleichtert verließ Myrtax die Blutweinkelterei und begrüßte den brütend heißen Nachmittag, der schon in den Abend überging. Für ihn gerade rechtzeitig. Er machte große Schritte, um rasch zu dem großen Baum zu kommen, der das Anwesen bildete, wusch sich und zog sich um, bevor er sich ins Gemach des Herrn Jilal schlich.
"He, komm.", nuschelte er und tippte der schwangeren Huria auf die Schulter, die im Arm von Jilal lag. Marseille lag auf der anderen Seite, unbekleidet, notdürftig verdeckt mit der dünnen Decke. Sie beobachtete ihn, rührte sich aber nicht, ihre Augen schienen zu glühen. Merkwürdig, dabei waren die dicken Vorhänge noch verschlossen und ließen kein Licht hinein.
Huria grummelte leise, schaute Myrtax an, rieb sich die Augen und erhob sich mit seiner Hilfe aus dem Bett. Sie ging sich erleichtern und legte sich breitbeinig in das Becken im Boden.
Leise ging Myrtax zu Werke und war fertig, als die Sonne gerade den Horizont berührte.
"Und?", flüsterte plötzlich eine kalte Stimme in seinem Nacken. Myrtax versteifte sich und hätte beinahe Huria am Oberschenkel geschnitten, konnte es gerade so verhindern. Er klopfte ihr gegen das Bein und machte mit ihren Achseln weiter.
"Ich habe drei Stück ausgesucht. Ich müsste nur wissen, wann die Feier stattfindet und wie viele Flaschen wir pro Blutlinie brauchen."
"In etwa zehn Wochen am 28. Qualskar. Drei Flaschen pro Linie.", raunte Marseille. Myrtax traute sich nicht, sie anzuschauen. Die Vampirvertraute konnte ihn mit einem Fingernagel töten und manchmal schien es so, als wollte sie es tun. Er hatte auch das Gefühl, dass sie ihn herausforderte, besonders, wenn sie wie jetzt nackt neben ihm stand.
"Ich habe verstanden, ich werde es der Kelterei überbringen.", murmelte er leise, um Jilal nicht zu wecken.
"Du bist auffallend lange weg manchmal." Die Stimme der Vampirin war so eisig wie der Winter. Myrtax sagte nichts. "Wie steht es um deine Berichte?"
"Der nächste ist in zwei Tagen fällig."
"Gut. Es wird mir eine Freude sein, dein Blut zu saugen, wenn die Herrin Rovinna dich nicht mehr braucht." Ein überraschend warmer Finger strich über seine Wange, das Messer in der Achselhöhle der schwangeren Sklavin stoppte für einen Moment.
"Angst, Myrtax?"
"Ja."
"Gut." Sie ließ von ihm ab, spähte durch einen Vorhang und riss ihn dann auf. Rotes Licht flutete herein, Reste der untergehenden Sonne. Ungefährlich für einen Vampir. Marseille ließ das warme Licht über sich ergießen, streckte sich und gab einen überraschten Laut von sich, als Jilal hinter sie trat und sie in die Arme schloss.
Die beiden waren sehr wohl verliebt!
Myrtax rasierte und wusch Huria zu Ende, packte seine Sachen, brachte den beiden Vampiren ihr Frühstück und blieb für den Rest der Nacht bei ihnen, sowohl beim Liebesspiel als auch beim Besprechen von Dingen, die Myrtax nicht verstand.
Erst gegen Mitternacht ging es wieder in die Bibliothek. Dieses Mal war Myrtax aber zu müde, um überhaupt irgendetwas mit den Büchern anfangen zu können. Jilal machte keine Anstalten, mit ihm großartig zu reden und schickte ihn gegen Sonnenaufgang fort.
Übermüdet, ausgelaugt und verängstigt verschwand Myrtax in seinem Zimmer. Er machte sich erst gar nicht die Mühe, sich auszuziehen. Er fiel einfach ins Bett, gab sich dem Schlaf hin. Zum ersten Mal betete er zu ihm unbekannten Göttern, dass sie ihn verschonen oder ihn holen sollten.
Ein Lachen antwortete ihm, aber es hätte auch ein Traum sein können.