Erdhawyrst kam in Sichtweite. Dichter Nebel vom Krater in der Ferne streckte seine Finger nach den Stadtmauern aus, die im Vergleich zu dem Krater winzig wirkten. Die großen Türme der Kirche und des Rathauses - für Gavín eher ein Palast - ragten stolz in die Höhe. Die Sonne würde den Nebel bald schmelzen und die Stadt weniger bedrohlich wirken lassen.
Doch sie hatten ein anderes Ziel und zwar den einzig noch vollständig erhaltenen Tempel von Lanialellara. Die anderen Tempel im Lande waren angeblich nur Nachbauten oder ein schwacher Abklatsch desselbigen. Von dort würden sie dann weiter nach Osten fahren, um zur Universität von Erdhawyrst zu gelangen.
"Du solltest etwas essen.", sprach Freyrín ihn leise auf dem Kutschbock an. Ihr Haar war zerzaust und sie schaute genauso müde aus, wie Gavín sich fühlte.
"Ich will aber nichts essen.", nuschelte er. Der Junge war schon ein paar Stunden wach und hatte Jorga in einem langsame Tritt durch den immer spärlicher werdenden Wald gelotst. Erfolgreich, denn seine Mutter war erst vor wenigen Minuten erwacht.
"Zu aufgeregt?"
"Hmhm."
"Aber du hast den Tempel doch schon einmal gesehen." Sie setzte sich neben ihn auf den Kutschbock, eine Decke um sich geschlungen und drückte ihm einen etwas weichen Apfel in die Hand. Der Herbst nahte und das war nicht zu übersehen: die Bäume prahlten mit ihrem Rot und Gold in den Wipfeln, braune Blätter fielen bereits herab. Ob sie es rechtzeitig zum Einstieg in die Universität schaffen würden?
"Das ist Jahre her, Mutter." Gavín schaute den Apfel an, als wüsste er nicht so recht, was er damit anstellen sollte, biss dann aber doch herein. Zu weich für seinen Geschmack, aber schön süß und immer noch saftig. "Und damals waren es nur ein paar hübsche Säulen für mich. Ich hatte nur deine Kräuter im Kopf."
"Als ob das jetzt meine Schuld ist." Sie stieß ihn sanft mit der Schulter an. "Also steht dein Entschluss fest?"
"Nein", seufzte Gavín getragen, "er steht nicht fest. Ich möchte es machen und ich möchte wissen, ob es etwas für mich ist." Dabei warf er ihr ein Lächeln zu. "Dank dir kann ich aber lesen und schreiben, was mir helfen sollte."
"Das will ich doch hoffen.", erwiderte seine Mutter, streckte sich genießerisch und ließ sich das Gesicht von der aufsteigenden Sonne bescheinen.
Der Tempel kam in Sichtweite. Nun, er war schon von weitem aus zu sehen oder wäre zu sehen gewesen, wenn der Nebel nicht gewesen wäre. Aber die Sonne gewann an Kraft und schmolz das leicht gräuliche Gespinst und offenbarte Felder, Wiesen, die Stadt Erdhawyrst und den ersten und somit ältesten Tempel des Engels Lanialellara.
Gavín verspeiste aufgeregt den Rest des Apfels. Jorga ließ sich nicht stressen und egal, wie aufgeregt Gavín ihn versuchte anzutreiben, der Kaltblüter apfelte nur genüsslich auf den Boden und schnaubte. Seine Mutter trat einmal aus, nahm ihm die Zügel ab und trieb ihn an, das gleiche zu tun, sonst würde er sich noch in die Hose machen.
~~
Es war noch nicht einmal Mittag, als sie den Tempel erreichten. Oder besser, die Tempelanlage. Um den eigentlichen Tempel herum hatte man kleine Häuser oder Hütten für die Bediensteten und Gläubigen erbaut gehabt; von ihnen waren nur noch die Fundamente und niedrige Mauern zu sehen. Oder Zeichnungen und Abgrenzungen der Archäologen, wo sich einmal Häuser, Hütten oder andere Bauten befunden hatten.
Der Tempel selbst war riesig. Nicht so gewaltig wie die Kirche in Dorstein, aber ähnlich groß, und bestand aus drei Teilen: dem länglichen Hauptgebäude mit einer Feuerschale am Kopf und einem reich verzierten Altar und zwei Seitenteilen, die sich wie Flügel ausstreckten und in denen es Möglichkeiten gab, mehr privat zu beten anstatt im großen Hauptraum.
Das gesamte Gebäude war von Nordwest nach Südost ausgerichtet, mit dem "Kopf" nach Nordwest. Das hatte seinen Grund, denn das Dach wurde in mehreren Metern Höhe von steinernen Säulen getragen. Und zwar nur von diesen Säulen. Es gab keine Zwischenwände oder tragende Wände, nur die Säulen. Diese warfen lange Schatten und diese Schatten zogen sich über die Wiesen über den Kopf des Tempels, wenn die Sonne aufging, und stellten so Flügel dar, die Flügel von Lanialellara.
Während die Sonne ihren Verlauf nahm, wanderten die Schatten über den Tempel, wurden länger, dann gegen Nachmittag immer kürzer, bis sie am Abend, wenn die Sonne unterging, in sich zusammenfielen und somit verdeutlichen sollten, dass auch ein Engel schlafen musste. Nur die Feuerschale im großen Gebetsraum wurde laut Überlieferungen auch in der Nacht befeuert.
Sie übergaben Jorga und ihren Wagen an einen Stallburschen, bezahlten die kleine Gebühr, indem sie sich seine Hand anschauten und Medizin herstellten. Ein kleiner Preis und eine gerne gesehene Dienstleistung. Wann begegnete man schon einem Druiden?
Was Gavín am meisten faszinierte war der große Oberkörper von Lanialellara mit ihren Flügeln, der über dem Türsturz auf die Ankommenden herabschaute. Ihr Gesicht war eine Mischung aus freundlich, herrisch, erhaben und liebevoll, hätte Gavín gesagt, und das alles zugleich.
Er sprach seine Mutter darauf an und Freyrín krauste die Stirn. "Ja, das stimmt. Es ist mir auch vor Jahren aufgefallen. Ich habe es für eine Täuschung des Lichts gehalten. Die Bildhauer mussten wahre Meister gewesen sein."
Das zweite Bildnis der schönen Engelsfrau befand sich auf dem Steinboden und war durch eine Art Lack versiegelt worden. Sie wurde, anders als in Dorstein, in einer strahlend blauen Robe dargestellt, welche ihren Körper bis auf die Arme verdeckte. Sie hielt ihre Arme den eintretenden Personen entgegen, als würde Lanialellara sie willkommen heißen.
Anders als in den geschlossenen Tempeln von Dorstein hallten ihre Schritte hier nicht wider und Gavín war fasziniert von den Inschriften auf den Säulen, bis er erkannte, was es war.
"Das sind ihre Gebete!", fuhr es plötzlich aus ihm heraus. Ein paar der Pilger drehten sich nach ihnen um, aber als sie bemerkten, dass es nichts aufregendes gab, wandten sie sich wieder ab. Nur ein junges Mädchen schaute immer noch neugierig zu ihnen herüber.
"Richtig." Freyrín begann leise mit ihm zu beten, blieb an jeder Säule einmal stehen. Sein Herz klopfte aufgeregter als eben noch. Die Bilder, die Säulen, alles war so viel greifbarer. Wenn es tote Drachen unter der Erde gab, warum sollte es dann nicht auch einen Engel gegeben haben, der aus dem Himmel gefallen war?
"Wo ist sie begraben?", flüsterte Gavín irgendwann, als sie die Kupferschale umrundeten, in der ein kleines, wenn auch heißes Feuer brannte. Die Schale selbst strahlte ihre eigene Hitze ab, die sie vom Feuer aufgenommen hatte.
"Begraben?" Freyrín setzte sich mit ihm nach dem Gebet auf eine der Bänke, welche für die müden Reisenden gedacht waren. "Wieso denkst du, sie wäre begraben?"
"Wenn sie es nicht ist, wo ist sie dann?" Er setzte sich neben sie, drehte die kleine Figur von Lanialellara zwischen den Fingern. "Wenn sie ein Engel ist, müsste sie nicht irgendwo sein?"
"Das ist eine Frage für die Gelehrten.", lachte Freyrín, drückte ihm ein paar getrocknete Pflaumen in die Hand. Wo hatte sie diese denn jetzt wieder versteckt? Und vor allem: sie hatten noch getrocknete Pflaumen im Wagen gehabt?
"Die wir gleich fragen?"
"Nur, wenn du deine Pflaumen isst."
"Mutter!"
"Sohn!"
"Was denn? Wieso soll ich immer essen?"
"Essen ist gut für Geist und Körper." Von einem Moment auf den anderen hatte sie Nüsse in der Hand und begann diese knackend zu verspeisen. "Es hält beides im Gleichgewicht oder hilft zumindest dabei."
"Ja, aber das beantwortet weder, warum du das weißt oder ob wir die Gelehrten fragen."
"Wir gehen erstmal Sillana besuchen und dann sehen wir weiter. Nicht so hastig, weißt du doch."
Gavín stöhnte genervt, verschlang seine Pflaumen, gab ihr aber eine davon zurück. Nur Nüsse waren doch etwas trocken. Dann stand er auf und begann durch die Flügel zu gehen, sich die Gebete anzuschauen und die Säulen. Auf dem Boden waren ihre Flügel und ein paar Federn zu sehen, die so dargestellt waren, als würden sie ihr im Flug ausfallen. War das überhaupt möglich bei einem Engel?
Vorbei an tuschelnden, betenden Menschen. Vorbei an Segensbittenden mit kleinen Kerzen und gefalteten Blättern, auf denen die Wünsche standen. Papier war zu teuer.
Und wieder stand Gavín vor dem Altar. Erst jetzt konnte er sich das Bauwerk vernünftig anschauen. Weißer Marmor, flankiert von schwarzem Marmor, offenbar lackiert, um Schäden und Abnutzung zu vermeiden. Intarsien an den Seiten, uralte Runen in der Mitte, die Gavín nicht lesen konnte. Sie strahlten Alter, Macht und Beständigkeit aus.
"Warst du das?", fragte er leise den Engel. Ob sie einmal selbst im Tempel gebetet oder sogar das Gebet geleitet hatte? Aber warum sollte sie das tun? Warum sollte jemand das Gebet an einen selbst leiten?
Gavín fand den Gedanken aber seltsam schön, dass Lanialellara einst selbst den Tempel beschritten und die Runen eingraviert hatte. Wenn sie wirklich so groß und schön gewesen war, wären doch sicherlich alle Bewohner ehrfürchtig auf die Knie gefallen, oder?
"Können wir jetzt gehen?", fragte er Freyrín, als er seine Runde gemacht hatte. Sie nickte genüsslich kauend, die Nüsse waren allerdings verschwunden.
"Wenn du willst."
"Ja, natürlich!"
"Nicht so laut, sonst drehen wir um.", ermahnte sie ihn und Gavín merkte, dass er zu weit gegangen war.
"Verzeiht, verehrte Mutter, ich wollte nicht unhöflich sein." Dabei verneigte er sich leicht aus der Hüfte. Etwas, was er sich angeeignet hatte, damit sie merkte, dass er es ernst meinte.
"Gut, junger Schüler." Sie berührte ihn leicht an der Schulter, damit er sich nicht mehr verneigte. "Du solltest auch gegenüber anderen Lehrern nicht so ungeduldig sein. Denk dran, sie werden nicht dein Vater oder deine Mutter sein, sondern jemand wie Balthasar. Freundlich, aber nicht dein Freund."
"Ja, Mutter." Gavín erhob sich aus seiner Verbeugung und schluckte. Freundlich, aber kein Freund. Ein guter Merksatz.
"Nun komm, hol unseren Wagen, ich erwarte dich an der Straße." Die Augen seiner Mutter blickten freundlich und warm, ihr Gesicht erhellt von der Sonne. Verschwunden war die Lehrerin, zurück blieb die Mutter. Gavín mochte seine Mutter mehr als die Lehrerin, aber er lernte ein wenig mehr, wenn sie die Lehrerin war. Etwas, was er ihr nie gesagt hatte, sondern sie nur immer für sich so nannte.
Mit langen Schritten verließ Gavín den riesigen Tempel und bahnte sich seinen Weg zum Stall, löste Jorga und den Karren aus, gab dem Kaltblüter noch einen Apfel, bevor er den Wagen in Bewegung setzte.
Freyrín erwartete ihn wie besprochen an der Straße, wo sie mit einer anderen Frau sprach, die einen Korb am Arm trug, aus dem Blumen ragten. Gavín konnte nicht hören, was sie besprachen, dafür war es zu leise.
"Na, neue Freunde?", grinste er sie an, als sie neben ihn auf den Kutschbock kletterte.
"Bekanntschaften am Wegesrand, wenn man so möchte.", nickte sie ihm zu. "Freundlich sein hat noch niemandem geschadet."
"Was wollte sie denn?"
"Eigentlich nur wissen, ob eines der Kräuter in ihrem Korb unverträglich mit anderen war." Sie hob eine Schulter. "Was Leute von einer Druidin halt wissen wollen."
"Du könntest dein Siegel auch abnehmen."
"Nein. Und das weißt du sehr genau." Wieder dieser strafende Blick, der aber sofort verschwand. "Druiden müssen sich ausweisen, sobald sie ihre Weihe abgelegt haben."
"Und warum nicht vorher? Ich kann auch Menschen vergiften und heilen."
"Ja, das ist richtig." Sie kaute kurz auf ihrer Unterlippe herum. "Wir hatten das ja schon einmal und ich denke, es ist einfach, um die Schüler zu schützen. Gifte herstellen kann irgendwann jeder, aber mehr Wissen darum zu erlangen verlangt einiges mehr an Arbeit und Zeit."
"Die Schüler zu schützen...", murmelte Gavín, das Tor der Stadt kam bereits in Sichtweite. "Falls sie etwas falsch machen?"
"Richtig. Es fällt dann zwar auf den Meister zurück, also mich als Beispiel, aber der Schüler wird dann weniger hart bestraft." Sie streckte ein Bein aus. "Natürlich werden Meister alles in ihrer Macht stehende tun, um zu verhindern, dass der Schüler zu harte Strafen erhält oder überhaupt Fehler macht. Was durchaus passieren kann, Fehler gehören zum Leben dazu."
"Egal welche?"
"Prinzipiell ja, aber du musst mit den Konsequenzen leben, groß und klein." Sie zerzauste ihm die Haare und Gavín zog den Kopf weg. "Jetzt siehst du wie ein echter Druide aus."
"Ungepflegt?", grummelte er.
"Nein, wild." Freyrín lachte glockenhell. "Aber wir sehen nicht alle aus, als würden wir in Bäumen hausen. Weißt du doch."
"Nein, manche von euch sehen aus, als hätten sie sich in Honig und dann in einem Blumenfeld gerollt."
"Aber sicher. Irgendwie muss man dem Bild eines Druiden doch gerecht werden."
~~
Als sie das Tor passiert hatten, lenkte Gavín den Wagen in Richtung Universität. Eher zu den Herbergen, die sich um die Universität gebildet hatten.
Es gab eine bestimmte Herberge, die eher für Elben gedacht war, aber die eher auch Freyrín und Gavín entsprach. Zum einen gab es die besseren Betten, die Besitzer waren Elben, auf Jorga wurde besser aufgepasst als anderswo - oder auch vorgesungen - und das Essen bestand zu einem Großteil aus Pilzen, Brot und Gemüse. Wenn es dann mal Fleisch gab, dann zu besonderen Gelegenheiten und weder Mutter noch Sohn brauchten Fleisch in ihrer Nahrung. Die Natur gab ihnen das meiste, ohne Tod und Verderben bringen zu müssen.
"Guten Mittag!", grüßte ein junger Elb, als sie den Stall ansteuerten. Er hatte kurze, beige Hörner auf dem Kopf, ebenfalls sandfarbenes Haar und trug luftige Kleidung.
"Ellevan!" Freyrín sprang vom Kutschbock und umarmte den Elb, der ihr nur bis kurz über die Hüfte reichte. Der Junge lachte und Gavín musste daran denken, dass Ellevan dreimal so alt war wie Freyrín. "Wie geht es dir?"
"Gut soweit." Der junge Elb grinste verschmitzt. "Viel zu tun, viele neue Leute. Das neue Lehrjahr beginnt bald, wir haben viele Gäste. Soll ich Jorgar schon hineinbringen? Euren Wagen stelle ich auch um."
"Kein Problem.", winkte Gavín vom Kutschbock aus. "Ich kann ihn gerne steuern, abschirren kannst du gerne übernehmen."
"Junger Master Gavín, so machen wir das." Er schnalzte mit der Zunge, was Jorga dazu brachte, den massigen Kopf gegen seine Schulter zu drücken. "Na komm, ich hab frisches Heu und ein paar Äpfel für dich."
"Verwöhn ihn nur.", lachte Freyrín und winkte. "Ich geh schonmal rein und begrüße die Dame des Hauses."
Ellevan verneigte sich aus der Hüfte mit einer eleganteren Bewegung als Gavín je durchzuführen vermochte. Er dirigierte mit der Hilfe des Elben den Wagen in den Hof und brachte dann den Kaltblüter in den Stall, der sich bedächtig über das frische Heu hermachte.
"Irgendetwas, was wir wissen sollten?", fragte Gavín den Elben.
"Nein, alles wie immer, Master Gavín." Ellevan begann den Hengst zu striegeln. "Was führ Euch und Eure Mutter in die Stadt um diese Jahreszeit?"
"Ich möchte mich einschreiben.", grinste Gavín breit und Ellevan sprang beinahe in die Luft.
"Wie großartig! Ich hoffe, sie akzeptieren Euch. Ihr wärt ein großer Gewinn für die Universität." Dabei beugte er sich verschwörerisch zu Gavín. "Und für die Menschen dort." Er nickte ernst. "Grüßt Eure Schwester von mir, wenn Ihr sie seht und fragt, ob sie ihre übliche Lieferung möchte."
"Übliche Lieferung?" Gavín runzelte die Stirn. Was bekam Sillana denn geliefert?
"Sie hat davon nichts erzählt? Oh." Ellevan räusperte sich, seine goldenen Hautbemalungen glänzten im Licht der Mittagssonne. "Dann werde ich davon nichts erzählen. Fragt sie am besten selbst."
"Das werde ich..." Irritiert verließ Gavín den Stall und öffnete die ovale Tür in die Herberge. Dabei roch er bereits den Duft nach Essen und Ale und hörte seine Mutter und eine weitere Frau lachen.
"Was heckt ihr wieder aus?" Er lehnte sich an die Theke neben Freyrín, welche den Ring an der Hand der Sonnenelbin begutachtete.
"Wir gar nichts." Freyrín strich versonnen über das glänzende Silber. "Sehr hübsch, Verehrteste."
"Danke." Vellara, die Besitzerin der Herberge Goldpilz, neigte den schönen Kopf und musterte Gavín. "Du bist groß geworden, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe. Wie lange ist das jetzt her?"
"Ein Jahr, Vel.", sprang Freyrín bei. "Du und dein Sohn seht immer noch gleich aus. Und werdet es wahrscheinlich auch, wenn wir nicht mehr sind."
"Hach, ihr Menschen und eure kurze Lebenszeit." Die Elbin lächelte verschmitzt. "Ein Zimmer oder zwei?"
"Zwei dieses Mal."
Gavín stupste seine Mutter dabei an.
"Oh, und Gavín wird sich an der Universität bewerben."
"Meinen Glückwunsch!" Vellara förderte drei Krüge zutage. "Darauf sollten wir trinken, sobald es Abend geworden ist. Ihr seht, es ist reichlich zu tun noch."
Das stimmte allerdings. Der Mittag hatte viele Elben und Menschen in die Herberge gebracht. Das Stimmengewirr war laut genug, dass es ihre Unterhaltung übertönen konnte.
"Dann wollen wir dich gar nicht...", begann seine Mutter, aber Vellara hatte bereits die Krüge mit goldenem Ale gefüllt und sie hingestellt.
"Für den Anfang." Die Elbin mit den etwas anders gestalteten goldenen Hautbemalungen setzte an und trank. Gavín schaute seine Mutter an, die nur mit den Schultern zuckte und beide tranken.
"Apfelsaft?", stieß Gavín überrascht aus, die Elbin lachte nur.
"Ja, natürlich. Ich sagte, wir trinken am Abend." Dann reichte sie den beiden Druiden zwei Plaketten aus Eisen, auf denen elbische Symbole eingestanzt worden waren. "Zimmer 22 und 23. Eure Größe, würde ich meinen. Liegt auch etwas abgeschieden." Sie rollte mit den Augen. "Wir haben auch ein paar Zwerge hier, die werden gerne etwas lauter."
"Ihr habt Zwerge hier?" Freyrín hob beide Augenbrauen. "Haben sich die Beziehungen etwa gebessert?"
"Ich versuche es, aber nein, eigentlich nicht. Irgendwer fand es lustig, sie zu mir zu schicken." Vellara hob eine Schulter. "Aber bisher ist alles gut, ich hab auch noch keine Schimpfwörter abbekommen."
"Man könnte meinen, sie mögen dich."
Vellara lachte so melodisch wie eine Symphonie. "Ja, sicher. Zwerge und Elben." Kurz huschte ein verträumter Ausdruck über ihr Gesicht und war dann verschwunden. "Eine Fantasie, mehr nicht. Wir sind zu verschieden. Aber eine Freundschaft zwischen den Völkern wäre doch schön für alle Beteiligten."
Die Druidin nickte nur, hob ihre schwere Eisenplakette auf und beide machten sich auf den Weg zu ihren Zimmern. "Holst du uns noch frische Kleidung?"
"Ja, Mutter." Gavín warf einen Blick in sein Zimmer und eilte nach draußen, holte zwei aufgerollte Pakete Kleidung, die sie für solche Gelegenheiten immer parat hatten und verteilte sie.
Endlich konnte er sich waschen und neu kleiden. Er wollte zumindest etwas ansehnlicher aussehen bei der Vorstellung an der Universität.