"Gavín..."
Schmerzen. Durst. Vor allem Durst. Hitze an der Seite. Kopfschmerzen. Hitze im Kopf. Druck auf der Brust.
"Gavín...? Schatz?"
Eine Stimme. Bekannt. Warm. Besorgt? Komisches Gefühl.
"He, ganz ruhig. Ich bin ja da." Eine warme Hand berührte ihn an der Stirn, dann etwas Kaltes, Nasses. Vorsichtig versuchte er die Augen zu öffnen, aber orangenes Licht blendete ihn und er stöhnte leise.
"Schon gut, lass die Augen zu, Liebling. Du hast Fieber, ruh dich aus, ich kümmere mich."
Und das tat Gavín. Die Hitze in seinem Körper, an der Seite und die Schmerzen an allen möglichen Stellen machten es schwierig, einen klaren Gedanken zu fassen, also war es besser, gar nicht zu denken und er verlor sich in der Schwärze.
Bilder begleiteten ihn. Schwarze Augen lachten ihn aus, Diana und Anette in einem Meer aus hämisch grinsenden Rosen, ihm unbekannte Leute tanzten zu einer Melodie, die sich schön anhörte, ihn aber bis ins Mark ängstigte.
Kälte und Hitze wechselten sich stetig ab. Es war nicht einfach nur kühl oder warm, es gab nur die bitterkalte klirrende Kälte und die knochenversengende Hitze, nichts dazwischen. Sein Körper reagierte und so auch sein Geist. Eisige und flammende Klingen gruben sich durch ihn hindurch, stülpten sein Innerstes nach außen und setzten es wieder zusammen wie ein neugieriger Messerkünstler.
"Gav..."
Wieder die Stimme, dieses Mal besorgter. Aber auch andere Stimmen, leises Wispern in den Bäumen, ein Rauschen, ein Flackern, irgendetwas Flauschiges maunzte an seiner Seite.
"Er kommt zu sich..."
"Tretet beiseite."
"Hier, gebt ihm das zu trinken."
"Das wird ihn eventuell umbringen."
"Oder wecken."
"Lieber wecken."
Jemand setzte ein Tongefäß an seine Lippen und eine kalte Flüssigkeit rann seinen Hals hinunter. Plötzlich brannte wieder dieses Feuer in ihm, schoss aus seinem Magen nach oben. Hustend drehte sich Gavín auf die Seite und erbrach die Flüssigkeit und den kläglichen Rest, den sein Verdauungssystem noch beibehalten hatte.
"Wach ist er."
"Das war bescheuert. Wozu ist das?"
"Um Gifte aus dem Körper zu spülen."
"Das haben wir dir aber nicht beigebracht. Eh, geh beiseite und hilf ihm einer auf."
Hände packten Gavín erstaunlich sanft an den Schultern und halfen ihm zu sitzen. Schwach öffnete der Druidenschüler die Augen und blinzelte gegen das Licht des Feuers, welches ein paar Meter weiter entfernt vor sich hin brannte. Die Katze, ein struppiges Wesen brauner Farbe, saß neben ihm und maunzte ihn an, als wolle sie ihn fragen, wie es ihm gehe oder ob er Futter hätte.
Langsam klärte sich sein Blick. Männer, Frauen, ein paar jüngere Erwachsene und Kinder hielten sich in seiner Nähe auf. Und seine Mutter Freyrín, die ihn besorgt anschaute und seine Hand hielt.
"Wa...", krächzte Gavín und merkte, dass sein Mund keine Worte formen wollte, sein Hals keine Laute zustande brachte und es schmerzte, als hätte erst raue Steine gelutscht.
"Langsam, Liebling." Freyrín strich ihm das schweißnasse Haar aus der Stirn. "Langsam. Du bist in Sicherheit. Du bist zuhause."
Gavín ließ den Blick wandern, schaute sie an und fing dann an zu weinen.
~~
Die Tage gingen ins Land, begleitet von Besuchen der Druiden und Kindern, manchmal von Tieren. Es gab ein paar Hunde in dem Lager und Gavín wusste irgendwann, wo er sich befand. Die Frage war: wie war er hierher gekommen?
Es dauerte, bis er wieder einigermaßen sprechen konnte. Es dauerte Wochen, bis er sich allein aus dem Feldbett erheben konnte, um auszutreten, sich zu kleiden oder einfach nur, um auf einem Stuhl zu sitzen und eine Schale dünner Suppe zu essen.
Die neugierigen Fragen blieben aus, aber je mehr sich Gavín orientierte und aus seinem fieberinduzierten Delirium auftauchte, umso mehr konnte er die fragenden, besorgten oder teilweise sogar verurteilenden Blicke sehen.
Nicht, dass er es ihnen verübeln konnte.
Es dauerte den Rest des Monats, bis er wieder Zeitgefühl und ein Gefühl für seinen Körper entwickelt hatte. Als es soweit war, riefen die Druiden mit Gortha an der Spitze ein Ting ein, um seine Geschichte zu hören. Der verlorene Sohn war zurückgekehrt und nun wollte man wissen, was passiert war.
Gavín war dazu nicht bereit, aber die Notwendigkeit seiner Erzählung und das Bedürfnis nach Antworten der Druiden war genauso drängend wie sein Bedürfnis, einfach wieder in die Dunkelheit zu gehen.
Also hievte er seinen abgemagerten Körper auf den groben Stuhl mit zwei Kissen, nachdem er gegessen hatte, und bekam einen Krug schwachen Ales, was er gerade so noch vertrug und den Krug heben konnte. Es war das Ende des Monats Roter Kopf, der Winter verlor an Kraft und der Druidenhain im Goldwald hielt die meiste Kälte und den Schnee zurück.
Seine Mutter saß schräg vor ihm und der Rest der etwa dreißig Druiden, der Rest von denen, die noch am Leben waren, hatten sich in Kreisen hingesetzt, standen an Wagen oder Bäumen gelehnt und hörten zu.
Gavín erzählte von seiner Entscheidung, sich von seiner Mutter zu verabschieden und schlussendlich Methellona aufzusuchen.
"Ich habe mich ausgestattet." Er deutete auf den Haufen seiner Kleidung, die zerrissen, dreckig in einem beklagenswerten Zustand auf seinem Beutel lag. "Ich wusste, dass ich nicht genug Geld machen würde für die Universität. Also... schloss ich mich den Silberfischen an."
Entgegen seiner Erwartung sog niemand scharf die Luft ein, machte ein erstauntes Gesicht oder murmelte abfällig. Es gab nur verständnisvolles Nicken.
"Im Haus der Vampire fand ich Fürsprecher, Freunde, Obdach und Liebe." Ein paar der Druiden lächelten. Offenbar kannten sie die Herberge. "Ich machte meine Arbeit. Ich trug Briefe aus, forderte Zahlungen ein - gewaltfrei, versteht sich, das war meine Bedingung - und lieferte Pakete oder Bestellungen an die Kunden aus.
Meistens ging es mich nichts an, was in den Lieferungen war." Ein Schluck Ale, damit die Kehle auch geschmeidig blieb. Das Feuer voraus wärmte ihn genug und schützte gegen die Kälte des ersten Monats im Jahr.
"Irgendwann wurde ich von einem Adligen angesprochen und stellte Kontakt her. Von da an war ich Schmuggler für Artefakte. Immer noch gewaltfrei. Da ich aber damit nicht genug Geld verdiente, bot ich meine Dienste als Druide an. Manchmal gegen Bezahlung, aber meistens nicht." Beifälliges Nicken der Anwesenden. "Ich ging eine Beziehung mit Diana ein. Und irgendwann trennten wir uns aus Gründen, waren aber noch sehr gute Freunde. Ihre Schwester Anette war meine zweite Beziehung. Mit ihr war ich zusammen, bis... sie verschwunden waren."
Er füllte sich langsam nach, denn er wusste, dass es schwierig werden würde, das Folgende zu erzählen. Dennoch rannen ihm die Tränen übers Gesicht, als er mit hoffentlich sehr monotoner Stimme anfing, die Ereignisse zu erzählen, die ihn aus Methellona trieben.
~~
Gavín nahm die Treppen nach unten. Er war besorgt, aber noch mehr war er wütend. Irgendjemand hatte sich an Diana und, was viel schlimmer war, an seiner Freundin vergangen. Sie waren verschwunden, die Betten leer, die Schränke unberührt, niemand hatte sie gesehen. Also brauchte er die Hilfe der einzigen Leute, die noch mehr sahen als der Turm der Stadt: die Silberfische.
Zuerst verlief er sich und bog in den falschen Tunnel ab, da er nicht auf seine Schritte geachtet, sondern seine Fläschchen gezählt hatte. Einige von ihnen waren mit toxischer Flüssigkeit gefüllt, andere mit hochkonzentrierter Säure und wieder andere mit einer Lauge. Er wollte nicht töten, aber von verstümmeln und Schmerzen zufügen hatte niemand etwas gesagt. Das war entgegen seiner Druidenlehre, aber in dem Fall machte er eine Ausnahme.
Er ging den Gang zurück, stieß einmal gegen eine Kiste und fand dann den unteren Eingang in die riesige Höhle, wo Miral seinen Schreibtisch hatte, der heute von ein paar großen Kisten verdeckt wurde.
"He, Miral!", rief Gavín. "Bist du da? Ich könnte deine Hilfe..."
Der Rest der Worte blieb ihm im Halse stecken, als er um die Kisten herumtrat, die halb geöffnet auf der Seite lagen. Aus ihnen quoll Füllmaterial, hauptsächlich Sägespäne, Stoff und Federn, also alles, was Stöße und andere Gewalteinwirkung von außen dämpfen konnte.
Es waren insgesamt zwölf Kisten, die in einem Halbkreis angeordnet waren und so den Schreibtisch verdeckten. Miral stand daran angelehnt und prüfte eine Frachtliste, sein stählerner Blick aus den goldumrandeten Augen hob sich.
Vor Miral, eingekesselt von sechs Schlägern der Silberfische, saßen Personen. Zwerge, Menschen, Elben. Alle zusammengepfercht, mit schweren Eisenketten gefesselt, sodass sie kaum die Arme heben geschweige denn laufen konnten. Einige von ihnen waren zusammengeschlagen worden, offenbar hatten sie sich heftig gewehrt, einer der Schläger hatte tiefe Kratzspuren im Gesicht.
Unter ihnen saßen Diana und Anette. Diana sah aus, als wäre sie mehrfach gegen eine Wand gelaufen, das Gesicht aufgequollen, ein Auge zugeschwollen von Schlägen, Blut lief ihr von der Schläfe über die linke Wange. Anette sah kaum besser aus. Jeder der Anwesenden trug die Kleidung, die er bei der Entführung am Leibe getragen hatte.
"Ah, gefunden.", murmelte Gavín, setzte ein Lächeln auf, als er nähertrat, die Hand bereits in seiner rechten Tasche mit den Fläschchen. "Miral, ich sehe, du hast meine Damen gefunden, ich hatte mir schon Sorgen gemacht, ihnen wäre Schlimmeres zugestoßen."
"Und was wäre das, Gav?" Die Stimme des Sonnenelb war so eisig wie die von Shavenna und Gavín wünschte sich in dem Moment, er hätte die beiden Damen mitgebracht.
"Tod?" Er zuckte mit einer Schulter, immer noch sein angestrengtes Lächeln auf den Lippen. "Ich sehe, du willst sie nur sehr gut beschützen. Da danke ich dir für und würde sie wieder mitnehmen, wenn es dir nichts ausmacht. Sie müssen morgen zum Dienst wieder bereit sein. Shavenna und Nuriel würden sich sehr freuen."
"In Methellona gilt das Gesetz des Stärkeren, kleiner Druide." Miral legte die Liste beiseite, verschränkte die Arme vor der Brust. "Und wir haben Bestellungen."
"Seit wann sind die Silberfische in Sklavenhandel involviert?", fragte er nun weitaus weniger freundlich. Sechs Schläger. Das waren viele. Rauchbomben, Säuren, Blendpulver. Das musste sehr, sehr schnell gehen.
"Das waren wir schon immer. Wie du siehst, haben wir unsere Bestellung beisammen. Zu schade, dass es deine Damen sind. Du kannst ihnen ja Gesellschaft leisten." Auf das Nicken des Elbs hin setzten sich zwei der großen Männer in Bewegung. Schränke, die sich bewegten, waren definitiv weniger furchteinflößend.
Nun gut. Eigentlich war Gavín heute aufgestanden und wollte nur etwas erledigen, aber so musste er die Gewalt wählen.
Das erste Fläschchen klirrte auf den Boden zwischen ihm, der Gruppe und den Schlägern. Er kannte sie vom Sehen, hatte aber nichts mit ihnen zu tun gehabt bisher. Weiß-blauer Rauch breitete sich explosionsartig mit einem zischenden Geräusch aus, versperrten ihnen klare Sicht auf den Druidenschüler.
Zwei weitere Fläschchen folgten. Eines zerbrach im Gesicht des rechten Mannes, der sofort hell aufschrie, als die Säure sein Gesicht in wenigen Sekunden zerfraß. Nun, vielleicht hatte er jetzt getötet, aber das war immer noch seine Freundin dort auf dem Boden!
Den linken Mann traf das Fläschchen am Hals, die Lauge begann seine Haut zu zersetzen, aber er schaffte es, mit einem Tuch diese abzuwischen und so nicht zu verbluten.
Zwei weitere Rauchbombe folgte, als Miral "Packt ihn!" brüllte. Die nächste Wolke aus Rauch schirmte Gavín gegen die Bogenschützen hinter ihm ab und eine weitere versperrte Miral und zwei weiteren Männern die Sicht.
Noch ein Säureregen, der dieses Mal nur Hosen und etwas Haut zersetzte. Er machte drei Schritte auf die Gefangenen zu, aber dann packte ihn jemand von hinten und in der Drehung bohrte sich ein Pfeil in seinen Oberschenkel.
Die Schläger wimmerten unter Schmerzen. Egal, wie sehr sich Gavín wehrte, der Kerl, der ihn festhielt, hatte Muskeln so hart wie Steine und ließ nicht los.
"Das ist nichts persönliches.", lächelte plötzlich Miral neben ihm. "Rein geschäftlich." Dann verpasste er Gavín einen Schlag, der ihm schwarz vor Augen werden ließ.
Wach wurde er in einer der Zellen. Man hatte ihm seine Taschen entfernt, die Gürtel durfte er aber behalten. Den Pfeil hatte man herausgezogen und sein Bein verbunden. Offenbar wollten sie ihn noch nicht töten. Seinen Dolch hatten sie ihm auch abgenommen.
Nun gut. Dann war es eben so.
"Wärst du mal im Turm geblieben." Miral trat ins Licht, seine freundliche Miene war wie weggewischt. "Thornal, Erich und Born sind tot. Was auch immer in deinen Flaschen war, hat sie getötet. Meine Leute fordern Blut gegen Blut. Aber ich finde, einen versklavten Druiden findet man auch nicht alle Tage. Wir werden dich mitsamt deiner Weibchen verramschen. Ganz einfach. Und du wirst sehen, was die Kunden mit ihnen machen und kannst nichts dagegen tun." Wieder dieses hämische Lächeln. "Sag, Gav, war es das wert?"
"Für sie? Ja." Er spuckte aus, blutiger Speichel klatschte vor dem Elb an die Gitterstäbe der Eisentür.
"Typisch Mensch." Der Elb machte ein Geräusch, das nach Tz Tz klang. "So kurzsichtig. So impulsiv. So... berechenbar. Zugegeben, heute habe ich einen Fehler gemacht. Ich dachte, Ratsmitglied Jorah fällt über dich her und hält dich hin."
"Wollte sie auch. Aber ich bin schon vergeben."
"Das war der Fehler, was ich nicht wusste." Miral schnippte, als hätte er sich selbst ein Schnippchen geschlagen. "Normalerweise sehen wir alles, aber wer konnte Ahnung, dass du dich in eine billige Hure verliebst?"
"Beide sind mehr wert als alle deine Schläger zusammengenommen.", zischte Gavín ihn an, das Licht in der Höhle war kaum als Dämmerung zu bezeichnen.
"Das will ich doch hoffen!", rief der Elb aus und klatschte in die Hände. "Keine Ahnung, was manche an euren Weibern finden, aber der Kunde zahlt einen hohen Preis für sie. Wir werden bald entscheiden, was wir mit dir machen. Bis dahin erfreue dich an dem Gedanken, dass es ihnen definitiv nicht gut gehen wird."
Damit verschwand der Elb grausam und kalt lachend, ließ Gavín mit seinen Mordgedanken in der schmalen Höhlenzelle allein.
Die nächsten Tage waren schwierig und sehr eintönig. Sie brachten ihm Wasser und Essen, brachten ihm einen Eimer und ließen ihn ansonsten in der Zelle versauern.
Das war ihr erster Fehler.
Der zweite Fehler: sie hätten ihm auch seine Gürtel und die Pülverchen und Kräuter abnehmen sollen, nicht nur die Flüssigkeiten. So konnte er immer wieder etwas Wasser mit seinen Kräutern mischen, die Pampe auf die Angeln schmieren und niemand bekam etwas mit. Seine Pülverchen würde er noch behalten, zumindest die meisten. Zwei der Fläschchen opferte er, um sein Bein unauffällig zu behandeln, damit es sich nicht infizierte, und das eiserne Schloss zu manipulieren. Kleine Tropfen Wasser hier und da würden das Eisen schneller zersetzen als Rost und ihn in wenigen Tagen befreien.
Falls er hier herauskam, würde er irgendwann wiederkommen und seine Damen suchen.
Soweit kam es jedoch nicht. In der Nacht des sechsten Tages seiner Gefangenschaft konnte er mit einiger Mühe die Tür aus den Angeln heben, was bedeutete, mit einem gezielten Tritt brachen diese klimpernd auseinander. Das Schloss war danach auch kein Hindernis mehr.
Vorsichtig lehnte er die eiserne Gittertür an die Wand und schlich hinaus, wich immer wieder Silberfischen aus und versuchte Miral zu finden. Aber es war Nacht und er hatte nicht gewusst, wo er suchen musste. Er fand die Frachtliste aber unter anderen Papieren auf dem Schreibtisch des Elbs, steckte diese ein. Außerdem entwendete er noch zehn Golddeut aus der Schublade des Tisches. Das war eine gute Strafe, fand er und schlich sich dann durch die Tunnel wieder zurück, nahm einen kaum genutzten Ausgang fast am Rande der Stadt und humpelte zurück zum Haus der Vampire.
Weder Nuriel noch Shavenna waren wach, man hörte Schnarchen, jemanden pupsen hin und wieder und das Gelächter oder andere Laute der Mädchen, die mit den Gästen verschwunden waren.
Gavín sammelte seine Habseligkeiten zusammen in seinem Beutel. Er hatte nun fünfunddreißig Golddeut, fünf Deut mehr, als er eigentlich gebraucht hätte. In die Kassette legte er die Frachtliste mit den Namen von Anette und Diana, versiegelte sie und packte sie in seinen Beutel. Dazu gesellten sich seine Zutaten, Werkzeuge und der Rest der Fläschchen und die Schriftrolle der Universität mit dem Versprechen, ihm bei Darlegung der erforderlichen Gebühren in die Universität aufzunehmen.
Er schrieb den Mondelbinnen einen kurzen Brief, in denen er darlegte, was passiert war, warum er verschwunden war und bedankte sich für ihren herzlichen Empfang und die Zeit, in der sie ihn umsorgt hatten, er hatte es sehr genossen. Er wünschte ihnen eine gute Zeit und dass sie sich wiedersehen würden, bevor er die Herberge und dann die Stadt verließ.
Weit kam er nicht, denn die Silberfische hatten Alarm geschlagen. Irgendwer hatte mitgekriegt, dass er geflohen war und humpelnd konnte er nicht so weit gekommen sein.
Nun hatte Gavín viele Flaschen weniger, ein paar Narben mehr und ein paar Leben mehr auf dem Gewissen. Dann fing er an zu laufen und wusste danach nichts mehr. Nicht, wie er überhaupt so weit gekommen war oder an den Wanurim oder überhaupt an Yenur vorbei in den Goldwald. Nicht einmal, wo er geschlafen oder was er gegessen geschweige denn getrunken hatte.
Was den erbärmlichen Zustand seines Körpers erklärte. Mitten im Winter, ohne vernünftige Kleidung und nur der dicke Mantel war nicht genug gewesen.
Gefunden hatte ihn tatsächlich seine Mutter, mit frischen Wunden wie von einem Wolfsangriff, übersät mit Schnitten, verkrustetem Blut, lethargisch, ausgehungert und kaum ansprechbar, seinen Beutel umklammernd, in dem alles enthalten war, was er angesammelt hatte.
Freyrín brachte ihn zum Druidenhain, wie sie erzählte und sie päppelten ihn wieder auf. Nun war er an dem Punkt in der Gegenwart angelangt und schaute in die Runde, das Ale aufgebraucht, die Kraft hatte ihn verlassen und er fühlte sich immer noch geschunden, sein Hals war rau und er wollte sich irgendwo verkriechen und weinen. Aber er hatte keine Tränen mehr, jedenfalls nicht im Moment.
Gortha erhob sich. Der nicht offiziell gewählte Anführer der Druiden war ein Mann fortgeschrittenen Alters mit einem hageren Gesicht, welches durch seinen grau-weiß melierten Bart aufgefüllt wurde. Er war ihr Lehrer, wie auch sie irgendwann Lehrer werden würden.
"Eine mutige Reise, junger Gavín.", sprach er, seine Stimme eine Mischung zwischen Eisen, Donnergrollen und sanfter Güte. "Eine Geschichte, von der wir lange zehren werden. Als Mahnung an uns. Als Warnung an dich.
Was möchtest du jetzt tun?"
"Zur Universität gehen.", krächzte Gavín, räusperte sich. "Zur Universität gehen. Lernen. Eine Anstellung finden. Und dann irgendwann Diana und Anette retten."
Irgendetwas sagte ihm, dass es nicht so einfach werden würde.
"Eine ehrenvolle Aufgabe. Eine gute Sicht auf die Dinge mit interessanten Prioritäten." Der Mann ging um das Feuer herum, seine Robe hüllte das weiße Leinenhemd ein, das lange gelockte Haar hing ihm über beide Schultern. "Aber du bist ein Druidenschüler. Du hast unsere Werte verraten. Du hast Schmerzen zugefügt. Du hast getötet. Etwas, was wir Druiden nur im äußersten Notfall anwenden und normalerweise vermeiden wollen. Wie du sicher weißt."
"Das weiß ich, o Gortha.", antwortete Gavín mit der gebotenen Anrede.
"Dann weißt du auch, dass dein Fehlverhalten als Druide auf uns zurückfällt und auch auf deine Mutter Freyrín?"
"Ja, auch das weiß ich, großer Druide." Er richtete sich etwas in dem Stuhl auf. Gortha ließ sich eine Kanne Ale reichen und füllte Gavíns Krug auf. "Danke."
"Nächstenliebe und die Liebe zum Leben zeichnen einen Druiden aus.", sprach Gortha weiter. "Du hast dieses Andenken beschmutzt, als du elf Leben genommen hast. Deine guten Taten in Methellona reichen nicht aus, um dies auszugleichen."
"Was schlagt Ihr vor, weiser Gortha?", fragte Freyrín, ihre Zöpfe hingen ihr über den Rücken. "Soll er der Zunft abschwören?"
"Mitnichten." Gortha lächelte nicht, seine grau-grünen Augen durchbohrten Gavín, als könnten sie ihm in die Seele schauen. "Er wird am letzten Frühlingstag geprüft und wird, bei Erfolg, seine Weihe erhalten. Lehnt er ab, ereilt ihn die Stille."
Gavín schluckte. Jetzt begann er die Kälte des Winters zu spüren, da sie ihm bei dem Wort in die Glieder fuhr. Die Stille war die schwerste Bestrafung für einen Druiden. Er konnte zwar sein Werk ausüben, aber er durfte nie wieder in den Druidenhain zurück. Kein anderer Druide durfte in seine Nähe kommen, sie mussten ihn meiden, durften nicht mit ihm sprechen, nicht mit ihm handeln und auch nicht ihm helfen, nicht einmal in größter Not.
Deshalb hatte die Stille ihren Namen erhalten. Es war ein urtümlicher Zauber, der keines Blutschwurs bedurfte, sondern einfach nur eines einfachen Spruchs.
Er hatte keine Wahl. Ihm war nicht danach, die Weihe jetzt schon abzulegen, aber es kam seinen Plänen entgegen. Vielmehr fürchtete er, nie wieder mit seiner Mutter sprechen zu können. Den Goldhain hätte er verschmerzt, aber nie wieder seine Mutter sehen oder sprechen zu dürfen? Unvorstellbar für Gavín!