515 Monat der Bodenständigkeit ZdU – Tulok
Von hier oben sieht die Welt so – anders aus. Er war schon so oft hier gewesen, am höchsten Punkt Sherroc’s, dem Turm des Erzmagiers und doch wurde der Anblick nie langweilig. Das unregelmäßige, sanfte Dröhnen des Talsteines hörte er zwar kaum noch, aber er spürte es. Wie Wassertropfen auf der Haut, wie eine entspannende Dusche unter der man die Augen schloss und den Rest der Welt vergessen konnte.
»Wünscht du dir manchmal, dass du nicht gegangen wärst?«, eine Tasse kühlen Kräutersuds in der Hand, war Yvor neben ihm aufgetaucht. Eine zweite Tasse balancierte auf dem dünnen Geländer.
»Manchmal, aber wir beide wissen, dass dies nicht möglich ist, so sehr wir es und auch wünschen.« Er nahm die Tasse und genoss den ersten Schluck, der sich wie Eis in seinem Körper verbreitete und ihn leicht zittern lies. Bis heute hatte Yvor niemandem verraten, was er da eigentlich zusammenbraute und wieso es so intensiv belebend und erweckend wirkte.
»Das hast du so beschlossen, ich für meinen Teil würde dich sofort als Vertrauten wieder an meine Seite holen – Magier hin oder her.«, Yvor lies seine Tasse einfach in der Luft stehen und schenkte seine Aufmerksamkeit einer Reihe Dokumente, die Tulok mitgebracht hatte. »Ich rechne dir hoch an, dass du heute hier bist und nicht bei der Ernennung eurer neuen Anführerin.« Tulok sagte zwar nichts, doch war es der forschende Blick in die Ferne und sein schmales Lächeln, welches jedoch rasch in sich zusammenfiel, die Yvor als Antwort genügten.
»Ich weiß bis heute nicht, was ihr damals in mir gesehen habt, als ihr mich zu eurem Vertrauten gemacht habt. Ich versuche es in ihr zu sehen, doch ich kann nicht. Sie mag eine gute Anführerin sein oder werden doch ...«. Er öffnete seine linke Hand und betrachte das sich ausbreitende kleine Feuer, als würde es ihm eine Geschichte erzählen.
»Was siehst du, wenn du in die Flammen blickst?«, Yvor war stets fasziniert von der Magie der Schamanen gewesen, sie fühlte sich zwar falsch an, aber nicht weniger echt.
»Meine Vergangenheit, meine Zukunft und das, was mir dazwischen fehlt.«, er schloss die Hand und das Feuer erstarb. »Wenn ich Zayla sehe, sehe ich nur Dinge, die ihr fehlen und habe mehr Fragen als Antworten.«
»Meinst du denn, dass du ein besserer Kandidat für den Posten wärst?«
»Nein«, er lachte leise, »Ich bin weder ein Erzmagier noch ein – was auch immer sie ist – ich bin ganz gut darin ich selbst zu sein. Etwas, was sie wohl oder übel schnell lernen muss.«
Yvor strich sich über die faltige Stirn, »Weil ihr eurem Ruf folgt? Einem Ruf den nur ihr hören könnt?«
»Ist das denn so falsch? Hat er mich dann auf Pfade geleitet, die ich bereuen sollte?«. Yvor erkannte im verbleibenden Auge Tuloks, dass dieser die Antwort kannte, aber eigentlich nicht hören wollte.
»Das kann ich euch nicht sagen. Die Zeit wird es zeigen und auch dann auf neue Wege schicken. Vieles ist im Wandel, was wir für in Stein gemeißelt hielten. Wer weiß da schon, was die Zukunft bringt.« Er legte die Hände auf Tuloks Schultern und sah ihm in das Auge. »Solange ihr davon überzeugt seit und niemandem schadet, der nichts dafür kann, solltet ihr auf eurer Herz hören oder was auch immer euch auf den Pfad gebracht hat.«
»Was mich zu eurer Aufgabe und meiner Anwesenheit bringt.«, Tulok kramte einen kleinen Splitter aus seiner Tasche, der gerade so groß war, das man ihn auf dem blauen Tuch sehen konnte. Er war von tiefem Grau und von einem größeren Stück abgebrochen. »Ich habe ihn in einer alten Ruine gefunden, auf einer der vielen kleinen Inseln östlich der Pferdekopfberge.« Als Yvor nach dem Stück greifen wollte, unterbrach ihn Tulok. »Ihr solltet es besser nicht berühren, alle Versuche es zu verstehen oder mit Shiran zu durchfluten haben dafür gesorgt, dass die Bruchstücke explodierten oder einfach in sich zerfallen.«
»Wie seit ihr denn darauf gestoßen?«, lies eine kleine Zange herbeischweben und betrachtete das Bruchstück schließlich in verschiedenen Lichtverhältnissen.
»Berichte aus Ilal Sunvar haben mich weiter nach Norden, in die Hafenstadt geführt und die Erzählungen hier decken sich mit denen, östlich der Pferdekopfberge. Man berichtete von seltsamen Leuchten und komischem Wetter.«
»Und ihr habt die Magie nicht erkannt?«, Yvor schielte halb an dem Bruchstück eines des Speicherkristallbruchstücks vorbei.
»Nein, sie ist keinem bekannten Zauberwirker oder einer mir bekannten Ebene zuzuschreiben.« Er suchte hastig nach einer Karte und tippte an die Nordspitze der Aru’Aruk Inseln. »Aber ich kennen einen Zirkel Hexenmeister, die mir hier helfen könnten. Dahin wollte ich als nächstes aufbreachen.«
»Hexenmeister oder Okkultisten?«, Yvor stelle die Frage so beiläufig, dass Tulok darauf antwortete ohne es zu bemerken,
»Irgendwie beides«, er stutzte kurz und ergänzte, »Nicht das du dir Sorgen machen musst. Es ist ein vernünftiges Maß an ungesunder Neugier«.
»Ihr haltet nach wie vor daran fest, dass nicht alle Okkultisten böse sind?«
»Davon bin ich sogar überzeugt, ich habe schließlich einige davon treffen dürfen.«, Tulok trank sein Getränk aus, atmete gezwungenermaßen tief durch und stellte die Tasse beim Gehen auf einem der Tische ab. »In mancherlei Hinsicht sind die Hexenmeister die Verrückten unter den Magiern und die Okkultisten nichts weiter als die Verrückten unter den Hexenmeistern.« Yvors Lache lies den Raum schlagartig etwas kleiner wirken, »Da könntet ihr Recht haben und die Salzori sind dann die Verrückten unter den Schamanen?« Tulok nickte,
»In der Tat.«
»Würde es denn dann wirklich schaden, wenn ihre Anführerin ein wenig – anders – wäre?«, er betonte das Wort mit so viel Ehrfurcht wie er aufbringen konnte.
»Ja«, Tulok warf sich seinen Mantel über, richtete seine Augenklappe und sah Yvor an, der jedoch nichts zu erwidern hatte. »Nein, vermutlich nicht. Ihr habt wie immer Recht.«
»Ich habe doch gar nichts gesagt«, Yvor grinste kaum merklich in seinem Bart hinein.
»Genau das ist das Problem, alter Mann. Du weißt immer wann du etwas sagen kannst ohne etwas zu sagen.«
»Weil ihr mehr könnt, als ihr euch zutraut. Ich will euch nur helfen, dass auch zu sehen.«
»Aber was ist, wenn sie alles kaputt macht? Wenn sie der Aufgabe nicht gewachsen ist?«, Tulok hatte soweit alles zusammengeräumt, einige Dokumente eingesteckt und andere in die richtigen Ablagen sortiert, etwas, was er nach all den Jahren einfach erledigte, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden.
»Fragst du das, weil du glaubst, dass es so ist oder weil du Angst hast, dass sie euch nicht den nötigen Respekt gegenüberbringt?«, Yvor hatte offensichtlich einen wunden Punkt getroffen, hielt Tulok doch kurz in inne. Es dauerte einen Augenblick, bis er das kleine Beutelchen in seine Tasche stopfte und sich ein letztes Mal prüfen im Raum umsah.
»Es geht mir hier nicht um Respekt für mich, sondern Anerkennung der Dringlichkeit und Wichtigkeit meiner Arbeit.«
»Und deiner Methoden.«
»Ganz besonders meiner Methoden. Die Wenigsten wären so verständnissvoll wie du.«, er reichte Yvor die Hand und legte die andere auf seine Schulter.
»Du weißt, dass ich immer versucht habe, offen für das zu sein, was die Welt uns zeigt und nicht blind das zu machen, was wir seit hunderten von Jahren machen. Auch wenn mir das gelungen sein mag, so kann ich diese Denkweise nur schwer in meinen Kollegen entfachen.«, Yvor löste den Handschlag, damit er den Zauber vorbereiten konnte, der Tulok wieder vom Turm bringen würde.
»Seid vorsichtig und zögert nicht, zu rufen, wenn ihr mich braucht.«, Runenpaare bildeten sich um Tuloks Füße, kaum das Yvor eine kleine Geste vollführt hatte. »Gebt Zayla eine faire Chance, eine, die euch überzeugt. Denkt euch eine Herausforderung aus oder stellt sie auf die Probe. Doch macht nicht den Fehler, den wir begangen haben. Offensichtlich haben wir ein Renne begonnen, ohne Ziel, ohne Zeitfenster und ohne zu wissen wer mit macht. Wenn wir Magier schon nicht mit laufen, müssen wir uns darauf verlassen können, dass es jemand anderes dies macht, jemand, der uns vertraut genug ist, dass wir ihm glauben und helfen wollen, sobald er es bedarf.« Tulok nickte, ein Grinsen auf den Lippen, während er schwermütig einen Blick durch den Raum schweifen lies, »Hoffen wir, dass ihr euch irrt.«
Während sich vor Tuloks Augen der Garten am Fuße des Erzmagierturms bildete, als ob er einem einzelnen Punkt entspringen würde, hallte Yvors Stimme in seinem Kopf nach, »Hoffen wir, dass ihr es nicht tut«