Hoch über mir am Himmel stehend betrachtete ich die Sonne. Kleine Schäfchenwölkchen zogen vorüber. Der Sonnenschein und eine leichte Brise sorgten für die perfekte Balance.
Ich sollte öfter auf diesen Berg kommen. Dachte ich, als ich breiig auf der Parkbank zerfloss. Ein buntes Vogelgezwitscher begleitete die Kulisse. Wie lange bin ich wohl schon hier? Fragte ich mich. Ich wusste nicht, woher der Gedanke plötzlich kam.
"Ausgezeichnete Frage", sagte eine Stimme, die allgegenwärtig zu sein schien.
Ich schreckte auf und war doch unverändert allein. Die Vögel schienen noch aufgeregter miteinander zu schnattern.
"Stimmt schon, du bist allein hier. - In deinem Kerker."
"Kerker?!", rief ich auf.
"Zuerst der Geschmackssinn", sagte die Stimme unbeirrt von meiner Panik.
Etwas metallenes füllte plötzlich meinen Mund aus. Der Geschmack übertönte für einen Moment jede andere Empfindung. Eine tief in mir sitzende Angst griff nach mir. Ich schmeckte Blut.
"Dann das Gehör."
Aus dem Vogelgeschnatter wurde ein wirres Klirren. Ich wehrte mich, doch von der Bank erheben konnte ich mich nicht. Meine Atmung wurde kürzer und kürzer, während das Klirren immer lauter wurde. Ich schnappte nach Luft. Doch immer wieder und wieder schluckte ich Blut.
"Dann dieser Geruch."
Verwesung. Dieser modrige, alles durchdringende Gestank, der meinen Körper wieder und wieder durchpflügte. Ich erinnerte mich nur zu gut an ihn und doch hatte ich kein Bild von dieser Erinnerung vor Augen. Mir blieb die Luft weg. Ich wollte atmen, doch die Panik raubte mir jegliche Kontrolle.
"Und zu guter Letzt."
Nein. Nein! Bitte!! Bitte NICHT!
"Tast- und Sehsinn."
Augenblicklich sank ich in die Bank. Ein Sog packte meinen Körper. Meine Arme und Beine wurden nach außen gerissen, während mein Oberkörper an Ort und Stelle festgenagelt wurde. Nägel mit Widerhaken, dicker als meine Daumen, gemacht für Schiffsrümpfe und nicht für Menschen, durchbohrten meine Gliedmaßen und Rücken. Mein Körper zog an ihnen, ich hing in Ketten an diesen in meinen Körper gebohrten Nägeln. Nicht enden wollender Schmerz zerrte an meinem Verstand.
Von meinem himmlischen Zufluchtsort von eben war keine Spur mehr. Ein finsterer, feuchter Raum umgab mich. Das Licht reichte nicht einmal bis zur Decke. Hin und wieder tropfte irgendeine dickflüssige Flüssigkeit von der Decke auf meinen Kopf. Ein dicker, öliger Tropfen rann mein Gesicht hinunter. Nicht einmal ein Fetzen Stoff bedeckte meinen Körper.
"Wie lange bist du schon hier?", fragte mich eine mir vertraute Stimme. Sie war diese allgegenwärtige Stimme. Ich richtete meinen Blick nach unten. Erschöpfung rang um meine Augenlider.
Hammthal stand dort zu meinen Füßen. Ich musste einige Meter in der Luft hingen. Mit einem versteinerten Gesichtsausdruck schaute er zu mir herauf. Der Anblick schien ihm schon lange nichts mehr auszumachen. Er trug einen makellosen Dreiteiler aus seidigem marineblauem Stoff. Seine goldene Uhrenkette an seiner Weste funkelte im Kerzenschein. Ebenjener Kerzenschein, der diesen Kerker dimm erhellte.
"Na Valentin, müssen wir das Reden nochmal üben", sagte er in einem Ton, der ermüdend und mehr wie eine stumpfe Tatsache als eine Frage klang.
"D... M..."
"Lauter."
"Drei..." kam es mir trocken und leise über die Lippen. "Mo-M-Monate."
"Und?"
"D-Dr-Drei T-Tage"
Ein Strahlen zeichnete sich plötzlich in seinem alten, von Falten gezeichneten Gesicht ab.
"Na also! Hätten wir das mit dem Gedächtnis auch wieder geschafft." Er klatschte in die Hände. So prompt wie er sich gefreut hatte, drehte er sich um zum Gehen. "Nächste Lektion, befreie dich aus deinen Ketten."
Zwei riesige eiserne Tore schlossen sich hinter ihm. Ich war wieder allein.
"Diesmal keine Ausflüchte, verstanden?!", hallte seine Stimme nach. Die Kerzen flackerten gefährlich. Was würde mit mir passieren, wenn sie erlöschen?
"Das möchtest du nicht wissen."